
Lahn-Camino (Etappe 6): Balduinstein / Schaumburg - Obernhof
Sonntag, 25. April 2021 / 19 KM

Früh am Morgen werde ich von Uli wieder an der Schaumburg abgesetzt. Aufgrund der Pandemie muss ich meinen Hol- und Bringservice bemühen, da momentan alle Unterkünfte geschlossen sind. Es ist 9:00 Uhr, als ich aus dem Auto steige.

Heute habe ich eine Pilgerbleitung dabei, die mit mir den Weg nach Obernhof gehen wird.
Lucy, die etwas über 1 Jahr alte Hundedame. Mal sehen, wer von uns fitter ist.
Im Auto kommt die Sprache darauf , dass mein Geist sich insgeheim ständig um die Produktivität dreht.
Ich muss meinem Bewußtsein richtig erlauben, dass ich zwei Tage einfach mal unproduktiv bin, obwohl zu Hause dies oder das darauf wartet, erledigt zu werden.
Seien wir doch mal ehrlich. Bei den meisten Dingen ist es total egal, ob sie heute oder morgen oder erst nächste Woche erledigt werden. Für den Brotjob gilt das natürlich leider nicht. Für den privaten Bereich aber viel öfter, als man sich selbst eingesteht.
Ich sage mir: "Auf's Hier und Jetzt kommt es an" und starte mit Lucy zusammen meine heutige Tour.

Während wir so durch den Wald laufen, der die Schaumburg umgibt, ertönt ein ganz schauriges Geräusch, das ich als Grunzen eines Wildschweines einordne. So etwas Gruseliges, das in der Frühlingsfrische mit leichtem Echo schaurig durch den Wald hallt, habe ich noch nie vorher gehört und so beruhigt es mich sehr, dass sich das Geräusch von uns weg zu bewegen scheint.
Also gehen wir schnell durch das Waldstück hindurch, und wieder auf freies Feld, auf dem wir nochmal einen tollen Rückblick auf die Schaumburg haben.

Lucy und der Hase
Kurz nach diesem herrlichen Blick kreuzt ein Hase keine fünf Meter vor uns unseren Weg und ich bin entzückt, dass sich der Hund scheinbar überhaupt nicht für ihn interessiert.
Wir laufen durch eine wunderschöne Landschaft, vorbei an Cramberg, über Wiesen, an einem schönen Lahnblick eintlang, durch ein kleines, waldiges Tal mit Bach und wieder über weite Wiesen nach Steinsberg hoch.
Den kleinen Ort Steinsberg durchlaufen wir und lassen uns kurz darauf auf einer Rastsbank zum Frühstück nieder.
Lucy läßt es sich begeistert schmecken, denn wir sind ja bereits zweieinhalb Stunden unterwegs. So lange dauert die Zeit vom Aufstehen bis zum Frühstück an einem normalen Tag für sie nicht.

Unter einem wunderschönen Blütenbaum sitzen wir ein Weilchen. Die Vögel sind emsig unterwegs und der blaue Himmel scheint durch die Äste des Baumes.
Es ist so wundervoll, wenn im Frühling alles zu wachsen beginnt. Es hat den Anschein, als würden alle Blumen aus ihrer Haut platzen. Die Blütenkelche sind voll und drängen darauf, auf zu gehen. Und wenn sie es dann geschafft haben, gibt es kein Halten mehr. Alles bricht hervor und zeigt sich in den schönsten Farben. Einfach herrlich.

Nach der Rast geht es wieder ein Stück auf dem Lahnfelsen entlang. Lucy wagt sich sogar ganz mutig an den Felsrand und schaut voller Neugierde in das Tal hinab.
Der Weg läuft einmal sehr steil bergab über Waldweg-Serpentinen in ein Tal mit Nebenflüsschen, über eine Hauptstraße drüber und auf der anderen Seite wieder auf Serpentinen über wurzeligen Waldboden steil bergauf.

Der perfekte Moment
Wir kommen an eine Ruhebank, die bereits auf uns wartet. Hier gibt es dann eine richtige Ruhepause. Die Bank steht an einer Lichtung mit Blick auf die Lahn, auf der anderen Seite ist eine lange Schneise. Ich hole die Decke aus dem Rucksack und breite sie auf dem Hang aus. Die breiten Bank-Füße dienen als Kissenstüze.
Nachdem Lucy ihre Nase ein wenig in die Sonne gestreckt hat, kuschelt sie sich an mein Bein, weil das ein idealer Schattenplatz an unserem Lager ist, und döst weg.
So ein süßer Hund.
So sitzen wir dort eine ganze Weile. Lucy döst, ich lese und ich habe den Eindruck, dass die Welt einen kurzen Augenblick einfach stehen geblieben ist. Es ist nichts anderes da, außer der Moment, der schönen Aussicht, dem niedlichen Wesen an meinem Bein und meinem Gefühl, genau am richtigen Ort zu sein.
Ich glaube, so fühlt sich tiefe Zufriedenheit an.

Nach dieser schönen, langen Rast, nachdem sich die Zeit reif anfühlt zum Weiterwandern, setzen wir unsere Tour fort. Es geht auf der Höhe entlang der Lahn, bis wir etwas bergab den Abzweig nach Laurenburg passieren.
Auf dem letzten Drittel werden wir von zwei Frauen mit ihren Männern, die ihnen in einigem Abstand folgen, überholt. Die Frauen albern miteinander herum und ich erinnere mich wieder an meine Schulzeit, in der ich oft und viel mit meiner Freundin herumgealbert habe. Es reichte eine bestimmte Situation und wir prusteten gemeinsam los und bekamen uns gar nicht mehr ein.
So unbefangen lacht man immer seltener, je älter man wird. Ob das nur mir so geht? Ob man einfach ruhiger wird? Ob gesellschaftliche Konventionen einen leiser werden lassen? Dabei tut gerade das alberne, ungebremste Lachen, bei dem einem die Tränen in die Augen steigen, so gut, dass man es nicht vergessen sollte.
Der Weg führt durch die Sonne, die an diesem Frühlingstag schon ziemlich brennt, entlang an den Bahngleisen bis zur Häuserhofquelle.
Ab hier verläuft der Weg wieder in den Wald hinein und wird echt steil.

Ich habe bereits auf der Wanderung etwas Entscheidendes gelernt. Man muss nur mit steigendem Gelände seine Geschwindigkeit anpassen, dann schafft man jeden Berg.
Dafür entschädigt der Anblick des romantischen Baches, der sich über einige Wasserfäll(chen) durch die Schlucht neben dem Weg entlang schlängelt sehr für die Strapazen.

Nach endlosem bergauf komme ich in der Nähe der Klosterruine Brunnenburg wieder auf gradere Wege.
Die Ruine ist ziemlich verfallen, deshalb halte ich mich hier nicht so sehr lange auf und gehe zu dem nahen Aussichtspunkt an den Lahnfelsen, von dem man einen grandiosen Ausblick auf eine Lahnschleife hat.
Es scheint ein beliebter Ausflugspunkt zu sein, denn eine Gruppe von Besuchern ist bereits dort, als ich eintreffe und eine neue Gruppe kommt kurz darauf an. In Ruhe die Stimmung genießen, ist also nicht angesagt.
Dafür nutze ich die Gelegenheit der Sitzbank aus und gönne Lucy noch ein Mittagessen. So sitze ich dort, lausche den Verteidigungsversuchen einer Dame, die Höhenangst hat und nicht an das Geländer vorgehen möchte, obwohl ihr alle verstärkt zureden, schaue von hoch oben den Wasserski-Läufern zu, die auf der Lahn ihre Kreise ziehen und Lucy ruht ein wenig.

An Laurenburg vorbei
Wir haben jetzt nur noch knapp 6 KM bis zum Etappenziel vor uns, aber ich bereue schon, dass wir in Laurenburg nicht abgebogen sind, um uns dort abholen zu lassen. Ich wollte ja unbedingt wissen, ob ich die knapp 19 KM Etappe mit den zusätzlichen Höhenmetern schaffe.
Ob man sich öffter das Leben schwer macht mit dem Ehrgeiz, Dinge bewältigen zu wollen, die man eigentlich gar nicht bewältigen müsste? Vielleicht merkt man das gar nicht mehr, weil es schon in die eigene Normalität übergegangen ist.
Mit diesen Gedanken begebe ich mich auf die letzten Kilometer. Der Weg verläuft wieder durch den Wald über einen naturbelassenen Waldweg, auf dem mir ein Crossfahrad-Fahrer und ein paar andere Wanderer entgegen kommen.
Auf diesem Stück kann man nochmal auf die Klosterruine Brunnenburg zurückschauen, die sich jedoch in den obersten Baumwipfeln zu verstecken scheint.
Der Weg zieht sich weiter, bis wir zu dem schönen Rastplatz oberhalb von Obernhof kommen, der uns einen tollen Blick ins Tal freigibt.
Hier machen wir die letzte Verschnaufpause, bevor es wieder bergab und bergauf bis hin zu einer Stelle geht, an der ich mich fast verlaufe.
Das Schild der Wanderwege steht für meinen Geschmack viel zu weit vorne an einer Stelle, die auch ein Abzweig sein könnte, an der es allerdings keinen Weg am Hang herunter gibt. Das wäre ein fatal steiler Abstieg geworden, der Lucy und mir nicht gut bekommen wäre.
Zum Glück kommen gerade da zwei Mädchen vorbei gelaufen, die mir einen sicheren Weg (ein kleines Stück weiter) nach Obernhof hinab weisen können.
In der Ferne ist das Kloster Arnstein zu sehen, doch der Weg für heute reicht mir aus.

Witzigerweise tut mir dieses Wochenende fast nichts weh, weder Füße noch Muskeln.
Lucy schläft im Auto sofort ein. Für ihre doch noch jungen Füßchen war das eine weite Strecke, die sie aber gut gemeistert hat.
Die Stempel auf der letzten Strecke waren rar gesäht. Das war sicher auch dem Umstand geschuldet, dass einige Stellen, die man hätte anlaufen können, durch die derzeit geltenden Corona-Beschränkungen einfach geschlossen waren.
Eine Fortsetzung der Reise nächstes Jahr für z.B. mal eine ganze Woche, rückt greifbar nahe
und selbst ein wager Gedanke, evtl doch bis nach Spanien zu laufen liegt abenteuerlustig in der Luft. Vielleicht taste ich mich Schritt für Schritt an diese Möglichkeit heran? Wer weiß....
(-> 7. Etappe: Obernhof - Bad Ems)
(-> Zum Start in Wetzlar)
Kommentare
Hallo Helga, ich mag die Art und Weise, wie Du Deine Gedanken und Gefühle mit Deinen Eindrücken verbindest, sehr. Es ist sehr kurzweilig, Deine Texte zu lesen . Mach unbedingt weiter so! Herzliche Grüße Andrea
Hallo Helga,
Danke für die schönen Berichte u. Bilder.
Hab jetzt wieder wahnsinnige Lust aufs Wandern.
Meine geplante Alpenüberquerung ist ja leider erstmal durch Corona gestoppt. Vor 3 Jahren bin ich den Malerwege im Elbsandsteingebirge gewandert...war auch Klasse!
Das schöne am Wandern ist ja, dass man ausser guten Schuhen u. Rucksack nichts braucht u. sich wunderbar in der Natur erholen kann.
Ganz liebe Grüße
Andrea
Lieber Lothar,
vielen Dank für die netten Worte, dann hat sich der Sinn des Blogs ja schon erfüllt. :-)
Liebe Helga, herzlichen Dank, dass du deine Erfahrungen auf dem Jakobsweg mit uns teilst. Es ist ein Genuss für mich, diese Schilderungen zu lesen und die Landschaften auf diese Weise zu erleben. Ich freue mich schon auf deine Erfahrungen und Erlebnisse bei den weiteren Etappen. Ich wurde ganz ruhig und gelassen, als ich deine Einträge gelesen habe, wohl wissend, dass ich selbst solche Wanderungen nicht mehr vollführen kann. Danke dir, Lothar
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