Nach einem leckeren Frühstück gemeinsam mit meinem Zimmergenossen verlasse ich die Eberhardsklause und mache mich auf den Weg nach Mehring, wo ich bereits gestern Abend meine nächste Unterkunft gebucht habe, da in Klüssenrath nichts mehr zu finden war.

 

Ich lasse den Abtgarten mit seinen wundervollen Blüten hinter mir und nach dem Pilgerstein, der mir anzeigt, dass es nach Trier nur noch 45 KM weit ist, halte ich nochmal inne, um eine Hunde-Einfang-Aktion nicht zu unterbrechen und steuere dann auf einen frisch geschmückten Fronleichnahms-Altar zu, vor dem zwei Damen sitzen und ihr Meisterwerk betrachten.

Eine kurze Unterhaltung kommt auf, in der die eine Dame entgegent: "Es ist alles im Umbruch. Wir dürfen nur Gott nicht verlieren, sonst geht die Welt unter."

Ich stapfe gedankenverloren weiter aus Klausen heraus und in den Wald hinein. - Aber wo finde ich Gott denn eigentlich?

Ist es das Gute im Menschen? Die Herzlichkeit?

Irgendjemand sagte mal  zu mir, dass 95% der Menschheit gut ist. Daran will ich gerne glauben und das erlebe ich auch momentan auf meiner Pilgerreise. Es gab so viele Herzlichkeiten, die ich bisher auf meinem Weg erfahren durfte. Passend zu meinen Gedanken stoße ich am Waldrand auf ein Schild, auf dem ein schönes Gedicht steht:

Es ist der Wald wie eine Kirche,
drum geh' mit Andacht du hinein.
Dort singen Vögel fromme Lieder,
mit deinem Gott bist du allein.

Dort schau' dich um ringsum im Kreise,
wo stolz die Waldriesen stehn'
du wirst die Allmacht deines Gottes
an jedem Baum und Strauche sehn'

Du wirst verstehn' der Bäume lispeln,
der Vögel Stimmen rings umher,
es liegt im Wald ein tiefer Zauber,
es stärkt das Herz, wenn es dir schwer.

Es stehn' die Tore allzeit offen
zu diesem Dom im duft'gen Hain.
Kannst weinen, beten dort und hoffen
und auch vergessen, tritt nur ein!

Georg Graf zu Münster (1776 - 1884)

 

Ist Gott die Natur? Diese unglaubliche Pracht, in der ich ständig staunend verweilen muss? Diese gigantischen Ausblicke? Ist es der Gesang der Vögel mitten im Wald? Ist es das Gefühl, das man verspürt, wenn man diese Eindrücke so überwältigend wahrnimmt?
All diese überschäumenden Gefühle, die ich in mir habe und die auf meiner Pilgerreise immer wieder hervorbrechen sind so großartig, dass ich es fast nicht beschreiben kann.

Der Weg führt weiter durch den Wald an einer Schutzhütte vorbei, in der ein junger Mann mit allerhand Outdoor-Ausrüstung die Feuerstelle geschürt hat und sein Mittagessen zubereitet. Besonders gesprächig ist er nicht und so lasse ich ihn machen und laufe weiter zum Waldrand, wo ein großer Pavillon mit Bänken mich zur Mittagspause einlädt.

Langsam nähere ich mich wieder der Mosel und meine Gedanken sind jetzt am sprudeln.

In Reil wurde ich etwas belächelnd gefragt, warum ich denn diese Stempel sammeln würde und gerade wird es mir klar. Es ist die Gemeinschaft, der man angehört, ohne dass man jemanden sieht. Du kommst in eine Pilgerherberge und gehörst einfach dazu. Du gehörst zu dem unsichtbaren Band, das die Pilger überall vereint. Wie Yuval Noah Harari in seinem Buch schreibt: "So funktionieren Religionen. Du bist auch in der Fremde automatisch einer Gemeinschaft angehörig."

Ich spaziere einen wurderbaren Weg durch die Weinberge hinab nach Klüsserath und suche zunächst die Kirche auf, in der ich einen weiteren Stempel finde.

Eine geöffnete Straußenwirtschaft finde ich um diese Zeit leider noch nicht, wie ich von einer freundlichen, Zeitung lesenden Dame erfahre, also geht es direkt weiter bergauf an einem Kreuzweg aus schönen Mosaikabbildungen vorbei auf eine Weg-Schleife ins Hinterland, Ringsherum nichts als Weinberge.

Ich grüße gerade zwei italienische Weinarbeiter, die die Weinreben beschneiden, als ein weiterer Pilger hinter mir auftaucht. Nicht, dass er sich bei mir einhakt, aber mit seiner Energie reißt er mich förmlich hinter sich her, wild erzählend.

Die Ruhe, die mich bis hierher umgab, ist plötzlich mit einem Schlag wie weggefegt. Totale Hektik kommt in mir auf und ich merke, dass mir diese Begegnung überhaupt nicht gut tut.

Nach einer kurzen Weile lasse ich mich extra etwas zurückfallen, da bei seinen vielen belanglosen Worten über Regenjacken, dem idealen Funktions-T-Shirt oder der Versorgung mit Energieriegeln meine schönen Gedanken leider verloren gehen. Irgendwann verabschiedet er sich dann und zieht seiner Wege.
Es ist gar nicht böse gemeint, aber dies war ein Moment, in dem ich lieber für mich geblieben wäre. Leider war ich zu "höflich" um es ihm einfach mitzuteilen. Ich kann ihm auch gar keinen Vorwurf machen, denn woher sollte er das auch wissen...

Schade - das schöne Gefühl von davor will sich nicht mehr so richtig einstellen. Ich kämpfe mich durch den Wald hinauf zum Zitronenkrämerkreuz, wo mein heutiger Weg den offiziellen Pilgerweg verlässt und treffe auf eine Fahrradgruppe, die mich leider zu einem Umweg verführt.

Ich laufe ewig durch den Wald und zu allem Überfluss fängt just in diesem Moment ein mächtiges Gewitter mit Regenschutt und Hagelschauer an zu toben.

Wie gut, daß ich meinen Regenponcho wieder mitgenommen habe. Ich spurt (wenn man das mit 8 Kilo auf dem Rücken so nennen kann) über die Pfützen hüpfend zur nächsten Schutzhütte und warte dort, bis der Regen nachlässt. Vielleicht hätte ich ohne Umweg gar keine Schutzhütte gefunden, zieht es mir durch den Kopf. Der Weg gibt dir, was du brauchst.

Und dann taucht endlich mein heutiges Ziel auf: Mehring, über dem noch eine kleinere Regenwolke hängt.

Der erste Weg führt zum Restaurant, um meinen riesigen Durst zu stillen und dann beziehe ich eine schnuckelige Pension. - (Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass man echt genug Wasser auf den Moselcamino mitnehmen sollte?)

Kurz bevor ich zum Essen gehe, kommt eine sehr laute Fahrradgruppe an und ich befürchte eine unruhige Nacht. Als ich allerdings vom Restaurant zurückkehre, sitzen alle 10 Radler auf dem Balkon um die Ecke - ganz gesittet - und trinken ihren Wein in der Abendsonne. So kann man sich irren!

Nach einem kühlen Getränk auf meinem eigenen Balkon falle ich geschafft ins Bett und schlafe auch schnell ein.