Da ich gestern tatsächlich mit dem letzten Tageslicht zu Bett ging, wache ich heute früh bereits um halb sieben auf.

Das Frühstück ist erst in zwei Stunden und so nutze ich die Zeit, um vor dem Frühstück noch meinen Wasservorrat für den Tag zu besorgen. Nach einem leckeren Frühstück geht es dann hinauf in die Weinberge.

Die Landschaft ist einfach bezaubernd. Ich mache ein Foto, weil der Blick so schön ist, und drei Schritte weiter ist der Blick noch schöner. Es sei schonmal vorausgeschickt: Es wird heute den ganzen Tag so weitergehen.
Diese Etappe küre ich zu meiner Lieblingsetappe vom Moselcamino.

Momentan befinde ich mich auf einer Alternativroute des Mosel-Caminos in Reil. Durch die Weinberge hindurch führt der Weg nach Burg. Auf der anderen Seite der Mosel zieht ein Helikopter seine Kreise und spritzt wohl die Weinreben gegen Ungeziefer.

 

Gestern Abend wurde mir diese andere Seite der Mosel als Wanderweg schmackhaft gemacht und heute bin ich froh, dass ich mich darauf nicht eingelassen habe. Glück gehabt.
Und ich habe noch mehr Glück, als ich bemerke, dass der Heli auf meine Moselseite wechselt, just als ich Burg erreicht habe. Jetzt kann er dort sprühen, so viel er will.

Nach Burg geht es wieder in die Weinberge hinein Richtung Enkirch. Ich passiere den 50. Breitengrad, der, dem Gedenkstein nach zu urteilen, auch durch Vancouver verläuft.

In Enkirch angekommen, versuche ich meine zweite Flasche Wasser wieder aufzufüllen, jedoch gelingt mir das nicht, da ich am Getränkeshop vorbeilaufe. Das soll mir später am Tag noch fast zum Verhängnis werden. Man kann sagen, dass auf diesem Weg das Wichtigste ist, sich ausreichend mit Wasser zu versorgen.
In Enkirch steuere ich zunächste die Tourist-Info an, bei der ich mir den Pilgerstempel abhole. Drei Abzweigungen später gelange ich wieder auf den offiziellen Mosel-Camino und kann mich ab hier weiter an der Muschel-Beschilderung orientieren.

An der historischen Feuerwache von Enkirch beobachte ich eine Dame mit Gießkanne, die über eine Straßenabdeckung stolpert. Zum Glück zieht sie sich keine Verletzung zu. Sie ist sehr verwundert, denn sie erzählt mir, dass sie schon seit Jahrzehnten hier herum laufe und noch nie diesen Deckel bemerkt habe.

Nach diesem Schreck wandere ich weiter und nach einem kurzen Stück komme ich an einem liebevoll ausgestatteten Wein-Kühlschrank vorbei, an dem sich durstige Kehlen laben können. Allerdings ist mir um diese Zeit noch nicht nach Wein zumute, zumal es kurz nach diesem Ort  auch schon wieder bergauf geht.

Der Weg führt steil aus Enkirch heraus, hinauf zum Rottenblick.

Hier denke ich zum ersten Mal, dass ich den steilsten Berg für heute geschafft hätte. Ein Trugschluss, wie sich bald herausstellen wird.

Der Ausblick - überwältigend.

Es geht vorbei an einem Musikpavillon der Winzerkapelle Enkirch. Hin und wieder kommen mir vereinzelte Wanderer entgegen, die auf dem Moselsteig unterwegs sind.

Der Weg ist ein schiefersteiniger Pfad, eine Wegart, die ich total gerne unter den Füssen mag.

Während ich so vor mich hinlaufe, frage ich mich: "Was denkst du eigentlich so im Moment?" - Ich stelle fest, dass mein Kopf tatsächlich komplett leer ist.
Ich denke momentan an nichts, genieße die wundervollen Ausblicke, die immer wieder vor meinen Augen erscheinen, höre die Vögel und versuche die Eidechsen zu entdecken, die im Gras um mich herum rascheln.

Es ist ein sehr angenehmes Gefühl, mal den Kopf leer zu machen, zumal ich in letzter Zeit den Eindruck hatte, dass gar kein Input mehr hinein geht.

Es geht weiter und weiter hinauf bis nach Starkenburg. Hier denke ich wieder: Endlich oben. - Falsch gedacht.

Starkenburg ist noch verschlafener als Burg. Leider hat hier Montags auch das Lokal geschlossen, denn langsam geht mein Wasser zur Neige.

Wenigstens ist die Kirche nicht verschlossen, und so kann ich für eine kleine Auszeit vor der Sonne in den angenehm kühlen Raum flüchten. Insofern ist diese Kirche mein Zufluchtsort - wie passend.

Im Kirchenraum gibt es neben dem Pilgerstempel ein verblüffendes Regal. Es ist ein Tausch-Regal, in dem Pilger alle möglichen Sachen hinterlassen, von denen sie denken, dass es jemand anderes gebrauchen kann. Vom Lutschbonbon über Taschentücher bis zum Tampon ist alles mögliche vorhanden. Nur leider keine frische Wasserflasche.

Nach einer kurzen  Zeit der Besinnung nehme ich es wieder auf mit der Sonne und dem nach kurzer Zeit angenehm verlaufenden Pfad durch den Wald, der sich allerdings als falsche Abzweigung herausstellt. Das merke ich daran, dass plötzlich ein extrem steiler Trampelpfad den ganzen Weg, den ich so fröhlig bergab gelaufen bin, jetzt wieder steil bergauf bis zur Bismarkhütte führt, von der ich nochmal einen tollen Blick auf meinen heute gewanderte Strecke habe.

Wieder ein grandioser Ausblick.

Direkt vor mir liegt Traben-Trarbach, rechts unten an der Mosel ganz im Hintergrund liegt Enkirch. Über den rechten Bergkamm bin ich hierher gewandert. Dieser Rückblick macht mich ein wenig stolz über meinen geschafften Weg und jetzt habe ich auch endlich den letzten Berg für heute bewältigt.

Auf einer Relaxliege mache ich meine letzte Rast für heute vor dem Abstieg zur Ruine Grevenburg, die von den Franzosen leider seinerzeit gesprengt wurde.

Leider ist die mit Hinweisschildern angekündigte Burgklause an der Ruine Grevenburg geschlossen. Mein Wasservorrat für heute ist auch restlos aufgebraucht, aber nun ist das nächste Ziel auch schon in unmittelbarer Nähe und nach einigen Serpentinen komme ich in Trarbach an.

Hier will ich mir zunächst den Pilgerstempel im Pfarrhaus abholen, das jedoch bereits geschlossen hat.

Das gibt mir die Gelegenheit, die Pilgerherberge alte Latainschule zu besuchen. Ich hatte heute Mittag zunächst überlegt, ob ich dort nach einem freien Bett fragen soll, bin allerdings noch nicht bereit für das Abenteuer Schlafsaal mit fremden Menschen. Also steuere ich die evangelische Kirche an, hinter der die alte Latainschule zu finden ist.

Ich komme in einen verträumten Garten mit einer schlafenden Frau auf dem Liegestuhl. Da ich annehme, dass das die Herbergsmutter ist, versuche ich sie mit einem freundlichen "Hallo" aufzuwecken. Nachdem das nicht klappt, setze ich mich kurzerhand in den wunderschönen Garten an einen Tisch, ziehe die Schuhe aus, lege die Füsse ins Gras und genieße den Schattenplatz.

Nach einiger Zeit erwacht die Dame von einem Windstoß und entdeckt mich. Sie ist etwas verwirrt und erzählt mir, dass sie normal im Liegestuhl im Freien gar nicht schlafen könne, aber offensichtlich tat es ihr gut.

Nach einem Plausch im Garten erhalte ich von ihr den Pilgerstempel und verlasse die Herberge wieder über den steilen Zubringer.

Kurze Zeit später sitze ich am Moselufer im Biergarten und labe mich an dem kühlen Blonden, von dem ich schon auf dem ersten Berg geträumt hatte. Das zischt.

Das kleine Hotel ist schnell gefunden, das Zimmer ist wirklich schön. Der Wirt hätte mich beim Ankommen fast gefoppt mit den Worten "Aber ich bin doch ausgebucht". Er löst den Spaß aber schnell auf und so sitze ich schon einige Zeit später im hauseigenen Restaurant auf der Terrasse in der Lounge-Ecke und genieße einen saftigen Spießbraten im herrlichen Abend-Idyll.

Der Kopf ist leer, der Bauch ist voll, mein Flüssigkeitshaushalt ist wieder ausgeglichen. Ich falle in das bequeme Bett, bin auch bald darauf eingeschlafen und träume von den tollen Eindrücken des Tages.
 

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(-> Zum Mosel-Camino - Start in Koblenz)
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