Ich sitze im Zug nach Wetzlar und bin gespannt, was mich in den nächsten Tagen erwartet.

Ich bin voller Vorfreude auf mein kleines Abenteuer. Ich habe mir ein paar Etappen vom Lahn-Camino für meinen Start ausgesucht, weil er fast vor meiner Haustür liegt und falls ich doch keine Lust mehr haben sollte, bin ich auch schnell wieder zu Hause. Im Vorfeld habe ich mir einen Pilgerpass besorgt und alleine dadurch bekommt das ganze Vorhaben schon einen besonderen Touch.

Meine einzigen Bedenken, die mich beschäftigen, sind die, dass ich eventuell für eine Nacht keine Bleibe finden könnte, denn ich habe die Unterkünfte nicht vorher gebucht, da ich noch gar nicht abschätzen kann, wie weit ich an einem Tag komme. Dieser Gedanke beschäftigt mich schon eine ganze Weile, obwohl es wegen der vielen Optionen ja kein Problem darstellen würde, dem auszuweichen.

Körperlich fühle ich mich fit, obwohl sich mein rechtes Bein heute morgen mit einem Zwicken gemeldet hat, aber das ignoriere ich einfach mal und hoffe, dass das Gefühl wieder weg geht.

In meinem Kopf schwirren die Gedanken herum, zum Beispiel, ob ich wohl ohne Probleme den ersten Stempel in mein Pilgerbuch sammeln kann. Im tiefen Herzen bin ich halt ein Jäger und Sammler.

Es war eine gute Entscheidung, die Anreise mit der Bahn zu machen. Im Prinzip bin ich schon mitten drin, in meinem Abenteuer.

Die Maske, die man jetzt im Zug tragen muss, zwickt ein bisschen, aber das gemütliche Geschockel rüttelt die Gedanken wach und macht den Körper locker und entspannt.

Ich starte in Wetzlar

In Wetzlar angekommen, suche ich zunächst nach dem Dom. Ein neugieriger Herr spricht mich an, ihm seien schon ein paar Frauen mit Rucksack aufgefallen und so kann ich mit meinem Vorhaben, den Lahn-Camino zu erwandern, gleich ein bisschen prahlen. Gleichzeitig kommt es mir allerdings total absurd vor, hier von Santiago de Compostella zu erzählen, und dass der Lahn-Camino zum Wegenetzt nach Spanien gehört, zumal ich noch gar nicht abschätzen kann, wie nahe ich diesem Ziel jemals kommen werde.

Im Dom halte ich nochmal ganz bewusst inne , hole mir anschließend meinen ersten Stempel (!) im benachbarten Pfarrhaus und wandere los.

Erste Rast nach Nauborn. Bis hier hin war es nur laut. Viele Autos, Baustellen, Industrie... Jetzt endlich sehe ich ein kleines Stückchen Grün, bevor es wieder an die Straße geht. Ich bin eben noch voll im Dunstkreis der Stadt Wetzlar.

Direkt nach der Rast wird es ruhiger. Der Weg läuft vorbei an der Kirchenruine Theutbirg Basilika (jedenfalls an dem, was davon noch da ist) und danach direkt in tiefes Dickicht hinein. Der Pfad verwandelt sich für ein gutes Stück in einen Dschungelpfad.

Eine Zecke pflücke ich mir gleich nach ihrer Entdeckung noch krabbelnd vom Bein und hoffe inständig, dass sich nicht noch mehr auf mich gestürzt haben. Das Glück sollte mir hold sein...

Nach schier endlosem Kampf gegen das Gestrüpp tauche ich aus dem Dickicht auf und finde mich auf einem breiten Weg Richtung Laufdorf wieder.

Laufdorf

Das Örtchen hat seinen Namen wirklich verdient, denn eine gefühlte Ewigkeit irre ich im Ort herum, auf der Suche nach dem richtigen Weg hinaus.

Leider finde ich keine Einkehrmöglichkeit. Diese sehne ich mir hier gerade sehr herbei.
Das Laurentius-Konvent, bei dem man auch Übernachtungsmöglichkeiten buchen kann, habe ich allerdings nicht angesteuert, vielleicht wäre das meine (verpasste) Einkehr gewesen.

Auf dem anschließenden Stück nach einer schönen Rast am Feldbergblick kommt mir die erste dahergeflogene Eingebung in den Kopf:

"Wer hat gefurzt..."
(Ein Ohrwurm aus einer meiner Lieblings-Sitcoms)

Ok, vielleicht bin ich einfach noch nicht empfänglich für die ganz großen Gedanken.

Ich beobachte mich dabei, wie ich des Öfteren mit dem Handy kontrolliere, ob ich noch auf dem richtigen Weg bin, was dazu führt, dass ich doch wieder interessiert in meine Nachrichten schaue. Gar nicht so leicht, sich nicht vom Handy ablenken zu lassen.

Der Weg wird jetzt doch beschwerlich, da meine rechte Hüfte beginnt, weh zu tun. Ich versuche sie gezielt beim Gehen locker zu lassen, was dazu führt, dass es plötzlich links zwackt und rechts nichts mehr zu spüren ist. Es ist interessant, wie der ursprüngliche Schmerz jetzt in meinen Beinen hin und herzuspringen scheint.
Nach einer Weile tun mir dann letztendlich beide Hüften weh.

Der Weg nach Solms

Am Rastplatz Feldbergblick überholte mich eine Frau mit Hund, die ich jetzt beim Abstieg nach Solms an einer Weggabelung wieder treffe.

Wir gehen ein kurzes Stück zusammen und sprechen über Hunde. Ich erzähle ihr von unserer Hündin Sherry, die wir im März leider gehen lassen mussten, aber ich merke nach ein paar Schritten, dass ich nicht wirklich mit ihr darüber sprechen möchte.

Kurzerhand lasse ich mich nochmal zur Rast nieder und sie weiter ziehen.

Braunfels

In Braunfels angekommen, besorge ich mir zunächst den Pilgrstempel im katholischen Pfarramt und danach noch den wunderschönen Stadtstempel bei der Tourist-Info. Die Frau beim Pfarramt wundert sich ein wenig, dass ich so wenig Gepäck dabei habe und so erkläre ich ihr, dass ich für's erste Mal Langstreckenwandern nur 3 Tage eingeplant habe.

Weiter geht's zum Schloß und dann freue ich mich auf ein bis zwei isotonische Getränke. Mit dem Füllhorn-Radler, das genauso schnell leer ist, wie es gekommen war, nehme ich dann auch wieder den Kontakt zur Außenwelt auf und teile mit, dass ich gut an meinem persönlich ersten Etappenziel angekommen bin.

Auf zum Sight-Seeing...

Wenn man sich ein Restaurant für sein Abendmahl ausguckt, ist es ganz wichtig, auf die Öffnungszeiten zu achten. Montags Ruhetag.

Zum Glück hat das Restaurant in meinem Hotel geöffnet.

Als ich an der Theke stehe und auf den nächsten freien Tisch warte, kommt noch ein anderer Gast in den Schankraum, der ebenfalls einen Platz zum Essen sucht. Die Wirtin verweist darauf, dass ich mich zuerst angemeldet hatte.

Da ich an einem vierer Tisch doch wohl eher genug Platz haben sollte, lade ich den Herren einfach ein, sich mit an meinen Tisch zu gesellen und so habe ich kurzerhand die nette Gesellschaft eines Profi-Fotografens aus Dänemark zum Essen, der in Wetzlar am nächsten Tag Werbeaufnahmen von Maschinen eines großen Unternehmens machen soll.

Es ist ein sehr interessantes Gespräch, bis ich mich um halb elf verabschiede und mit ziemlichem Muskelkater die Treppe zu meinem Zimmer erklimme. Momentan kann ich mir nicht vorstellen, morgen früh auch nur einen weiteren Schritt zu tun.

Ich schlafe aber ausgesprochen gut in der ersten Nacht meiner Wanderung.

(-> 2. Etappe: Braunfels - Weilburg)