Nach einem kargen Frühstück, bei dem ich den eh schon grantigen Kellner noch mehr verärgere, weil ich mir einfach ein Brötchen aus dem etwas abseits stehenden Körbchen nehme, beginne ich meine zweite Etappe.

In meinem Zimmer habe ich bereits alles gedehnt, was ich so habe und so kann ich tun, woran ich gestern Abend nicht mehr geglaubt hatte:
Ich laufe los.

Nachdem mir gestern doch alles mögliche weh tat, beschließe ich, meinen Weg heute langsamer anzugehen.

Die Etappe soll heute in Weilburg enden, das sind nur etwa 12 KM. Beim Laufen stelle ich fest, dass ich doch eher ein langsamer Mensch bin, der gerne inne hält und schaut, der verweilt und auf die Geräusche hört, die ihn umgeben.
(Beim Joggen war ich bisher auch stets die Letzte...)
Vielleicht muss man gar nicht immer vorne dabei sein, schneller machen, alles auf einmal tun ...
Auf jeden Fall genieße ich diesen Augenblick, in dem es völlig egal ist, wie schnell oder langsam ich bin.

Manchmal ist man gar nicht langsam, wenn man meint, langsam zu sein.

Die Dame mit Hund, die ich gestern getroffen hatte, kreuzt heute auch wieder meinen Weg. Ein kurzer Plausch und dann lasse ich mich bewusst zurück fallen. Ich wollte ja heute langsam sein!
Irgendwann ist mein Weg wegen Forstarbeiten gesprerrt und so laufe ich ein Stück auf dem Lahnhöhenweg weiter. Und nach einer Kurve steht da plötzlich die Dame mit Hund und orientiert sich gerade auf ihrer Karte. Sie ist also trotz der eiligen Schritte auch noch nicht weiter als ich. Letztendlich überhole ich sie dann trotz meines langsamen Tempos auf ihrer Rast und bin dann sogar vor ihr.
Langsam kommt man also manchmal schneller ans Ziel als die Schnellen...

Pause in Hirschhausen

In Hirschhausen finde ich auf den Lahn-Camino zurück und mache erstmal Pause unter einer großen Linde an einem Brunnen, aus dem kein Wasser kommt. Ich denke unwillkürlich an die Brunnen unserer Stadt und den lieben Menschen, der sich darum kümmert.

Es ist doch erstaunlich, wie viele Menschen man kennt.
Da gibt es die ganz nahen, die man gerne in sein Umfeld lässt, mit denen man tiefe Gedanken austauscht,
es gibt Menschen, die man öfter trifft, weil man aus irgendwelchen Gründen mit ihnen umgehen muss, aber man lässt sie lieber nicht so nahe an sich heran,
doch es gibt auch die Menschen, die man gar nicht kennt, die einem bloß ständig über den Weg laufen, mit denen man aber eigentlich gar nichts zu tun hat. Die Menschen, denen man ein freundliches guten Morgen zuruft, weil man sich schon tausend Mal gesehen hat.

Ich finde, gerade in diesem "erkannt" werden von diesem und jenem, einfach so, liegt ein großes Stück Heimat.

Wallfahrtsort im Pfannenstiel

Nach der Pause geht es dann wieder in den Wald hinein, was bei der prallen Sonne eine wirkliche Wohltat ist.

Der Weg führt an einem Altar mitten im Wald vorabei.

Der Wallfahrtsort im Pfannenstiel wurde inspiriert durch den Fund eines Marienbildes an oder in einem Baum. Das war wohl im 15. Jahrhundert.
Daraufhin wurde eine Kirche gebaut, die brannte ab, vorher wurde sie noch umgebaut zur Pilgerstätte für Jakobspilger.

Danach brannte sie also ab und wurde wieder aufgebaut und mit fünf Altären versehen.
Sie wurde von der katholischen und evangelischen Gemeinde genutzt und irgendwann wieder abgerissen.
2009 wurde dann ein großes Holzkreuz errichtet und 2011 der Altar.

Eine Weile bleibe ich an diesem Ort sitzen und höre mir das Gezwitscher der Vögel an, die sich in der Waldesstille miteinander unterhalten.

Nach diesem magischen Platz geht es ewig lang durch einen Wald, an dessen Ende mich eine Wiese zur Rast einlädt.

Hier breite ich meine Decke aus, befreie mich aus meinen Schuhen und lasse mich zur Rast nieder, als plötzlich eine Dogge mit ihrem Spielzeug auf die Wiese tollt. Ich rufe dem Herrchen zu, dass er den Hund von mir aus gerne laufen lassen kann und das tut er dann auch.
Nach ein paar absolvierten Gehorsamkeitsübungen muss der Hund dann aber doch mal schauen, was da so auf der Wiese herumliegt. Er kommt mich kurz besuchen, holt sich ein paar Streicheleinheiten ab und geht dann mit Herrchen zusammen seiner Wege.

Weilburg

Schließlich komme ich in Weilburg an, wo ich als erstes den Pilgerstempel im katholischen Pfarramt abhole. Nach einigem hin und her Laufen, klingel ich leider am falschen Eingang, bekomme aber natürlich trotzdem den Stempel.

Nebenan befindet sich die Heilig-Kreuz-Kirche, in der ich diesen schönen Altarraum bestaune.

Nach einer kurzen Einkehr entzünde ich noch eine Opferkerze für alle Menschen, die mich "erkennen" und gehe weiter zum alten Friedhof unterhalb der Kirche.

Hier, auf dem Kalvarienberg steht die Heilig-Grab-Kapelle, in der bis 1900 noch Bestattungen vorgenommen wurden.

Eindrücke vom Schloss Weilburg

Weiter geht es Richtung Altstadt, wo ich in der Tourist-Info noch einen schönen Stadt-Stempel ergattern kann. Der Gedanke kommt auf, dass ich die doch recht kurze Strecke noch bis nach Gräveneck zum Campingplatz fortsetzen könnte, aber ein Telefonat mit dem Campingplatz nimmt mir die Entscheidung ab. Die Zimmer, die es dort gibt, sind nicht zu haben.
So miete ich mich an der Lahn ein und nehme noch ein paar Eindrücke von Weilburg mit:

Mittlerweile ist es früher Abend, ich liege einfach nur im Hotelzimmer herum, fülle meinen "Status" mit Eindrücken des Tages auf, beantworte Handynachrichten, die mir richtig gut tun, weil viele guten Wünsche, viele erstaunte Nachfragen und großes Interesse für meine Pilgertour dabei sind.

Heute habe ich keine Lust, noch etwas zu unternehmen. Das Abendessen hatte ich vorhin in der Altsstadt zu mir genommen, also lasse ich den Abend mit dem Schreiben von Nachrichten ausklingen.
Erstaunlicher Weise tut mir heute weniger weh, als gestern. Offensichtlich bin ich bereits ein bisschen trainiert.

So viele Leute haben mich heute Abend angeschrieben und mir viel Freude gewünscht. Ich bin geplättet!

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